Welche Pianola Typen gibt es?

„Pianola“ als Sammelbegriff für selbstspielende Klaviere und Flügel lässt kaum auf die große Vielfalt dieser Instrumente schließen. Diese Vielfalt ist durch die sukzessive Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten und die unterschiedlichen Ansprüche der Käufer begründet – aber ebenso auch durch die Vielzahl der Hersteller die an diesem lukrativen Markt mitverdienen wollten. Viele dieser Hersteller versuchten eigene Ideen durchzusetzen – oder bestehende Patente zu umgehen und bauten daher immer wieder neue Varianten der im Grundprinzip ähnlich aufgebauten Pianolas.

Für eine Unterscheidung der verschiedenen Pianola Systeme können folgende Merkmale herangezogen werden:

Bauform (Kabinett, Vorsetzer, Einbau-Klavier oder -Flügel)

Bauart (Tretklavier, Kunstspielklavier, Reproduktionsklavier)

Skala (Anzahl der am Notengleitblock angesprochenen Töne) und

Grundsätzlich sind vier verschiedene Bauformen vorzufinden: Das Kabinett, der Vorsetzer (Englisch: push-up player), das Pianola-Einbau-Klavier, der Pianola-Einbau-Flügel.

DAS KABINETT

Kabinett werden die Systeme genannt, die die Selbstspieltechnik mit einem akustischen Klavier in einem Gehäuse vereint haben, jedoch keine eigene Klaviatur besaßen. Das akustische Klavier im Kabinett wurde von führenden Herstellern bezogen, meistens von Feurich. Bei diesen Systemen greift die Selbstspieltechnik direkt auf die Mechanik des Klaviers zu. Es handelt sich dabei nach unserer Kenntnis ausschließlich um Reproduktionssysteme, die vollautomatisch und betont die Musik wiedergeben. Diese Systeme eigneten sich vor allem für Musikliebhaber, die die Musik nur von den Notenrollen hören wollten und nicht selbst am Instrument spielen. Kabinette wurden von Welte, Philipps und Hupfeld gebaut – heute sind sie nur noch selten zu finden – und, wenn überhaupt, meistens von Welte-Mignon.

DER VORSETZER

Die so genannten Vorsetzer (Englisch: push-up player) waren die ersten in großer Zahl hergestellten Systeme. Pianola der Aeolian Company und Phonola der Hupfeld AG sind hier sehr bekannte Beispiele. Ein Vorsetzer wird vor ein Handspielklavier oder –Flügel geschoben. Die Selbstspieltechnik befindet sich komplett im Vorsetzer. Der Vorsetzer hat meistens 65-88 Finger (andere/frühere auch weniger), die auf den Tasten aufsetzen und damit direkt über die Klaviatur die von der Notenrolle abgelesene Musik spielen. Es gab die Vorsetzer in allen drei Bauformen, als Tretinstrument (frühe Pianola/Phonola u.a.), als Kunstspielinstrument (spätere Pianola/Phonola u.a. mit Accentuierungsmöglichkeiten) und als Reproduktionsinstrument (Welte, Hupfeld DEA, etc.). Vorsetzer sind interessant, wenn man den Klang eines bereits vorhandenen Klaviers oder Flügels genießen möchte – oder verschiedene Instrumente mit dem Vorsetzer nutzen möchte.

DAS PIANOLA EINBAU KLAVIER

Bald erkannten die Hersteller von Selbstspielmechanismen, dass immer mehr Kunden es umständlich fanden, die Vorsetzer jeweils einrichten zu müssen, da diese nicht nur an das Instrument herangeschoben werden mussten, sondern auch richtig in der Höhe, Pedalposition und Spielstärke eingestellt werden mussten. Außerdem wollten immer weniger Menschen das zusätzliche Möbel in der Wohnung. Nicht zuletzt eröffneten sich für die Hersteller der Selbstspielmechanismen lukrative Zusatzgeschäfte durch den Verkauf von kombinierten Instrumenten. So dauerte es nicht lange, bis Hersteller wie Aeolian oder Hupfeld mit vielen namhaften Herstellern von Klavieren und Flügeln kooperierten – bzw. diese später oft auch übernommen haben – und vor allem Pianola-Klaviere anboten.

DER PIANOLA EINBAU FLÜGEL

Ab 1908 wurden die Pianolasysteme in Klaviere und Flügel vermehrt eingebaut. Mit der im Instrument eingebauten Pianolatechnik, konnte das Instrument als Handspielinstrument und als Pianola eingesetzt werden. Bei Pianola-Flügeln stellte sich schnell heraus, dass viele Kunden, die Kästen zur Aufnahme der Tretpedale am Flügel optisch zu wuchtig fanden und die Bedienung der oft verkürzten normalen Klavierpedale nicht so günstig war. Bei späteren elektrisch betriebenen Pianola Flügeln waren diese dann nicht mehr erforderlich, da die Saugluftversorgung durch den Motor realisiert wurde.

Neben diesen Hauptbauformen gab es auch noch eine Vielzahl anderer kreativer Selbstspiellösungen, die sich aber nicht durchgesetzt haben. So gab es Unterbauapparate für Flügel, Klaviaturaufsatzapparate für Klaviere, etc..

BAUARTEN DER PIANOLAS

Vorwiegend sind drei Bauarten zu unterscheiden

das Tretinstrument

das Kunstspielinstrument

das Reproduktionsinstrument

Alle drei Bauarten gab es in den vorgenannten vier Bauformen – und in Kombinationen der Bauarten in einem Instrument (Bsp. Hupfeld Tri-Phonola). Ausnahme sind die sogenannten Kabinette, da diese zumeist als Reproduktionsinstrument ausgelegt waren. Die reinen Tretinstrumente wurden ab ca. 1907 seltener und durch die sogenannten Kunstspielinstrumente ersetzt. Die Bauarten unterscheiden sich inder Art der Wiedergabe unterschiedlicher Notenrollen.

DAS TRETINSTRUMENT

Als Bauart ist es die einfachste und frühe Form der Standard Pianola. Der Selbstspielmechanismus für das Abspielen der Notenrollen wird durch Pedalbetrieb angetrieben. Die Notenrolle enthält nur die vom Notenblatt übernommenen Stanzungen für die Noten, keine Lochungen zu Betonung, Tempo, Dynamik. Die Aufgabe dem Musikstück Betonung und Ausdruck zu geben, fällt dem so genannten Pianolisten zu, d.h. der Person, die an der Pianola sitzt. Über die Bedienung der Hebel hat Hupfeld in einer seiner Anleitungen Konkretes geschrieben (siehe nebenstehendes Bild).

Bei dieser Bauart des Tretklaviers ist „Selbstspiel“-Instrument nur bedingt der richtige Begriff. Über die Notenrolle erklingen zwar die Töne in der richtigen Reihenfolge und Zusammensetzung – jedoch obliegt es dem Pianolisten daraus ein wohlklingendes und ggf. schön interpretiertes Musikstück zu machen, da der Pianolist Tempo, Dynamik und Betonung steuert. Viele Notenrollen haben dazu Informationen auf den Notenrollen aufgebracht, so dass der Pianolist anhand dessen Dynamik und Betonung so steuern kann, wie es für dieses Musikstück vom Notenrollenhersteller vorgesehen ist. Tatsächlich ist die Trettechnik entscheidend für die Gestaltung der Musik mit dieser Bauart der Pianolas.

Sehr bald schon stieg der Anspruch an diese Tretinstrumente und die Kunden wollten ein weniger mechanisch und oft leblos klingendes Musikerlebnis. So kamen um 1907 so genannte Künstlerrollen auf den Markt – hier sind die Töne des Musikstückes so auf der Notenrolle angesiedelt, wie ein bestimmter Pianist dieses Stück spielte – es wurden also erste „Aufnahmen“ gemacht. Zumeist war dann auch der Pedaleinsatz (rechtes Pedal) und die Melodiebetonung auf der Notenrolle bereits vorgesehen und durch Lochungen platziert. Bis zur Standardisierung erfolgte dies in herstellerspezifischer Weise. Die Gestaltung der Dynamik und der Betonung obliegen dann aber immer noch dem Pianolisten, so dass er entweder im Sinne des einspielenden Pianisten den auf der Rolle angegebenen Dynamik- und Betonungsbefehlen folgen – oder eine eigene Interpretation vornehmen konnte. Um diese Künstlerrollen abspielen zu können, wurden Kunstspielinstrumente auf den Markt gebracht.

DAS KUNSTSPIELINSTRUMENT

Durch die Erweiterung der Funktionen wurde das Tretinstrument zum Kunstspielinstrument. Zusätzliche Funktionen sind: automatische Melodiebetonung (Solotant bei Hupfeld, Themodist bei Aeolian, Melodant bei Angelus, etc.), Pedalfunktion (Fortepedal=rechtes Pedal), die auch durch entsprechende Lochungen auf den Notenrollen automatisch angesteuert werden. Zusätzlich zu den Hebeln des Tretklaviers sind somit zumeist im Bereich des Notenrollenkastens weitere Hebel für die Ein- und Abschaltung der Melodiebetonung sowie Pedalfunktion zu finden.

Kunstspielinstrumente waren ab ca. 1908 die dominierende Bauart der Pianolas. Herstellerabhängig variierte die Ausstattungs- und Ausführungsqualität. In Deutschland hat Hupfeld diesen Markt dominiert. Kunstspielklaviere gab es anfangs überwiegend mit Pedaltretfunktion – später aber auch mit elektrischer Gebläseanlage, die dann automatische Abschaltung, Rücklauf, teilweise Wiederholungsfunktion und manchmal auch einfache Betonungsfunktionen hatten.

Beispiele für herstellerspezifische Namen der Kunstspielinstrumente sind: Solophonola von Hupfeld, Pianola Themodist von Aeolian, Ducanola von Philipps, Estrella von Popper, etc..

DAS REPRODUKTIONSINSTRUMENT

Es wurde bereits 1904 als „Artist“ von Hugo Popper aus Leipzig und M. Welte und Söhne aus Freiburg vorgestellt. Herrn Welte und Herrn Bockisch ging es darum, das Spiel eines Pianisten mit allen Details aufzunehmen und über eine geeignete Vorrichtung zu reproduzieren. Aus einem Welte Firmenprospekt zitiert, heißt es dazu: „Eine noch so sorgfältig gezeichnete mechanische Musik wird immer mechanisch klingen, es fehlt ihr die Freiheit in der Bewegung, der natürliche Fluß, der Schwung in der Auffassung, die oft unscheinbaren und doch so reizenden Tempowechsel. Kurz, das Spiel hat nicht das, was es „künstlerisch“, was es „perfekt“ macht. Wir erkannten nach langem Studium, dass die einzige Lösung, die all die genannten Unvollkommenheiten gründlich beseitigt, in der Aufnahme des Pianisten selbst und dessen Wiedergabe auf einem Flügel oder Piano zu finden ist.“ 

Die speziellen Notenrollen für Reproduktionsinstrumente enthalten alle Informationen zur vollständig automatischen Wiedergabe des Musikstückes. Eine Einflussnahme auf die Wiedergabe wie beim Kunstspielklavier durch den Pianolisten ist weder vorgesehen noch möglich. Die Realisierung der hohen Qualität der Reproduktion wurde durch die Hersteller unterschiedlich erreicht. Daraus ergibt sich auch, dass Reproduktionsnotenrollen nur auf den Instrumenten der jeweiligen Hersteller funktionieren und die vorgesehene Qualität entfalten. Die Reproduktionsinstrumente spielen 80-88Töne und haben zusätzlich 10-25 Löcher im Notengleitblock für die Steuerung. Näheres zu den Instrumenten als auch den Notenrollen finden Sie auf diesen Seiten in den jeweiligen Rubriken. Besonders interessant sind natürlich jene Notenrollen-Aufnahmen, die die einzigen Tondokumente darstellen – so wie bei Alfred Reisenauer, u.v.a..

WICHTIGSTE REPRODUKTIONSINSTRUMENTE

Welte-Mignon rot (T100) ab 1904

Hupfeld DEA (ab 1907)

Philipps Duca (ab 1908)

Aeolian DuoArt (ab 1913)

Ampico A ab 1913

Hupfeld Triphonola (ab 1919)

Welte-Mignon grün (T98) ab 1924

Ampico B ab 1929 

Darüber hinaus gab es weitere Reproduktionsinstrumente, die jedoch -wie das Popper Stella aus 1908- nie einen nennenswerten Marktanteil erreicht haben und zu denen es heute nahezu keine Reproduktionsrollen mehr gibt. 

Als die letzte Entwicklungsstufe dieser Reproduktionsinstrumente kann das Ampico B angesehen werden. In dem Buch „Re-Enacting the Artist“ schreibt Larry Givens über das Ampico B System: „With its fewer moving parts, its electric roll drive mechanism, its quieter pump and exhaust, its rapid-acting valves, and many other improvements and innovations the Model B Ampico cannot be considered anything less than the zenith of player piano development.

Alle Reproduktionsinstrumente waren mit elektrischem Gebläse ausgestattet – integriert in die Instrumente, als nebenstehendes Gebläse in einem Schrank oder einer Truhe sowie als zentrale Versorgung in einem separaten Raum. Reproduktionssysteme gab es als Vorsetzer, tastaturloses Kabinett und eingebaut in Klaviere und Flügel. Einige Reproduktionssysteme konnten auch zusätzlich als Kunstspielklavier genutzt werden. Darauf deutet z.B. die Bezeichnung „Duo“ bei DuoArt oder „Tri“ der Triphonola hin, d.h. z.B. bei der Triphonola die drei verschiedenen Einsatzmöglichkeiten in einem Instrument.

Natürlich gab es noch viele Bauarten, in denen ein Klavier als eine Instrumentenart neben anderen selbstspielend betrieben wurde – diese sogenannten Orchestrions werden hier nicht näher behandelt.

SKALA EINES PIANOLAS

Die Skala eines Pianolas bezeichnet die Struktur und den Umfang des am Notengleitblock über Löcher verfügbaren Ton- und Steuerungsspektrums. Die meisten Klaviere bis ~1945 hatten 85 Tasten, bei vielen Flügeln und so genannten Konzertklavieren oft 88 Tasten. Anfangs wurde von den Pianolas nur ein Teil der auf dem Klavier verfügbaren Töne angesprochen.

Zu den wichtigsten und häufigsten Standard-Skalen bei Pianolas gehören die

65er Skala (Aeolian, ab ~1897)

72/73er Skala (Hupfeld, ab ~1902)

88er Skala (Standard, ab ~1908)

Dieser Aspekt des größeren Tonumfanges zur Wiedergabe der Musikstücke im originalen Notensatz wurde von den Firmen als bedeutendes Differenzierungsmerkmal herausgestellt. Bei Reproduktionsinstrumenten wurde ebenfalls mit dem Tonumfang Differenzierung versucht (z.B. Philipps Duca mit genau nur einem Ton mehr als Welte), und, jeder Hersteller hatte seinen eigenen Patente für die Steuerung des Betonungsapparates, so dass auch hier unterschiedliche Skalen eingeführt und lange beibehalten wurden. Erst in den 1920er Jahren boten dann z.B. Welte und Hupfeld ihre Reproduktionsinstrumente mit einer Skala an, die zumindest von der Notenrollengröße her der 88er Standardskala entsprachen. Damit konnten dann auch Standard 88er Notenrollen abgespielt werden (dann nur als Kunstspielfunktion).

Eine vielzitierte Analyse von Chase & Baker aus 1908 anhand der 3838 Notenrollen in deren Katalog zeigte, dass mit der Skala von 65 Tönen durchaus signifikant weniger Musikstücke 1:1 vom Notenblatt in Rollen umgesetzt werden konnten. Von den 3838 Notenrollen konnten 1130 (29%) mit 65er Skala gespielt werden. 2425 (63%) Notenrollen benötigen einen Tonumfang von 78 Tönen, 2542 (66%) benötigten 80 Töne, 2660 (69%) benötigten 83 Töne, 3676 (96%) benötigten 85 Töne und alle Rollen konnten natürlich mit dem Tonumfang von 88Tönen gespielt werden. Um Musikstücke auf der 65er Skala abbilden zu können, wurden Reduzierungen und Oktavversetzungen vorgenommen, um innerhalb der 65Töne zu bleiben. Diese Chase & Baker Analyse beeinflusste nachvollziehbar die Entscheidung für die eine 65er Standard und eine 88er Standardskala. Wenngleich diese Standardisierung in Amerika und nur von den führenden amerikanischen Firmen bestimmt wurde, folgten auch die Europäischen Hersteller nach und nach vor allem dem als modern geltenden 88er Standard.

BAUSTILE DER PIANOLAS

Natürlich haben die verschiedenen Hersteller versucht ihre Instrumente so zu bauen, dass sie am Markt damit mehr Umsatz als die Konkurrenz erzielen konnten. Dies zeigt sich sowohl in der Ausgestaltung der Selbstspieleinrichtung als auch der Gestaltung der Korpi der Pianolas. Die Stilgestaltung wurde den unterschiedlichen Käuferschichten, Märkten und dem Zeitgeschmack angepasst. Instrumente für den Privathaushalt waren anders gestaltet als Instrumente für den Einsatz in Cafehäusern oder Restaurants. Die technische Umsetzung der Selbstspielmechanismen ist –wenn auch im Grundprinzip ähnlich- von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich, und oft auch bei einem Hersteller zwischen den verschiedenen Systemen nicht einheitlich. Reproduktionsinstrumente waren oft in außergewöhnlich kunstvollen Prunkgehäusen tlw. nach Künstlerentwürfen und individuell nach dem Einrichtungsstil des Käufers gestaltet.

 

 

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